Ärztliche Versorgungsschiene Allgemeinmedizin - Psychosomatische Medizin gebahnt

Schnittstellenkompetenz der Psychosomatischen Medizin ist gefragt

Fünfzehn Jahre nach Einführung des Facharztes für Psychosomatische Medizin und vor allem bei der derzeitigen doch unklaren und bedrohlichen gesundheitspolitischen Situation sollten wir uns reflektieren. Wie hat sich das Fachgebiet etabliert? Was ist das Besondere daran und lässt sich dies überhaupt bei den gegebenen Abrechnungsbedingungen umsetzen? Was macht die Psychosomatische Medizin im Vergleich zu anderen Facharztgebieten und der Psychologie aus? Wie viel Vertrauen und Wissen besteht von Seiten der Bevölkerung, sich psychosomatisch behandeln zu lassen? Wie groß ist die Akzeptanz von Seiten der anderen Fachärzte und der Hausärzte? Wie wird die Zukunft des Fachgebietes aussehen? Welches Wirkungs- und Kompetenzspektrum wird überhaupt in der Versorgungsmedizin in Zukunft benötigt?

Wenn man sich diese Fragen stellt, wird schnell deutlich, dass die Psychosomatische Medizin, als besondere Schnittstellendisziplin zwischen Psyche und Soma über ein komplexes und integratives (Wissens-)Potenzial verfügt, sich dadurch wesentlich von anderen Fachgebieten unterscheidet und gerade deshalb als Ergänzung und Verbindung zur Hightech- Medizin einen wichtigen Platz in Diagnostik, Beratung, Therapie und Prävention einnehmen müsste und damit zukunftsweisend sein könnte. Leider wird dies aber so nicht umfassend, überzeugend und nachhaltig dargestellt und bildet sich derzeit auch weder in Zahlen noch im Bekanntheitsgrad konkret ab. Woran liegt das?

Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und ärztliche Psychotherapie (DGPM) hat in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband der Allgemeinärzte Berlin/ Brandenburg (BDA) diesbezüglich eine Umfrage mit den Hausärzten in Berlin durchgeführt. Diese sind diejenigen, die einen kontinuierlichen, vertrauensvollen Kontakt zu ihren PatientInnen haben, erste Ansprechpartner sind und vor allem auch psychosomatischen Erkrankungen täglich konfrontiert werden und daher eigentlich mit den Psychosomatikern eng vernetzt sein müssten.
1700 Fragebögen wurden mit der Hausärztezeitung in Berlin verschickt. Ziel war es, erstmal einen Überblick über den Vernetzungsgrad zwischen den Hausärzten und den Psychosomatikern, den Bedarf an Psychosomatikern allgemein und im Bereich der Prävention aus Sicht der Hausärzte in Berlin zu bekommen. Folgende Ergebnisse wurden erhoben:

  • Über 82% der Hausärzte würden "deutlich mehr" oder "mehr" Patienten zu uns Psychosomatikern überweisen, wenn wir Sprechstunden anbieten würden
  • 70-80% sind der Meinung, es bestünde bei Krisen und Erkrankungen wie Depressionen, Ängsten, Essstörungen, bei Suchtpotenzial und bei Erkrankungen ohne organische Ursache "mehr" oder „deutlich mehr“ Bedarf an psychosomatischer Behandlungskapazität (Ausnahme: somatopsychische Erkrankungen: 41%).
  • 80% sind davon überzeugt, dass Prävention psychosomatischer Erkrankungen notwendig und sinnvoll wäre.
  • 80% haben die Qualifikation Psychosomatische Grundversorgung.
  • 90% sind sich bei bis zu 10 Pat. im Quartal IV/ 2006 unsicher bezüglich der Notwendigkeit einer Überweisung zum Psychosomatiker.
  • 94% haben keine oder nur bis zu 5 Rückmeldungen im Quartal IV/ 2006 von den Psychosomatikern bekommen.
  • 52% haben einen Psychosomatiker als Ansprechpartner in ihrem näheren Umfeld.
  • Schriftlichen oder telefonischen Kontakt wünschen sich 80%, 19% regelmäßige Fallbesprechungen.
  • Kritik kam zu 70% aufgrund der langen Wartezeiten und des fehlenden Feedbacks, zu 13% aufgrund fehlender Informationen über das Leistungsprofil der Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Als Fazit der Umfrage, die sicherlich nur eine Tendenz abbildet, zeichnet sich folgendes ab: Der Bedarf an Psychosomatischer Medizin ist keineswegs abgedeckt und bezieht sich auf zeitgerechte Diagnostik, Beratungen, Therapien, Fallbesprechungen und gemeinsame Begleitung der PatientInnen. Die Schnittstellenkompetenz ist immens wichtig in der breiten Versorgungsmedizin und kann von Seiten keiner anderen Fachrichtung zusätzlich abgedeckt werden. Besonders die Vernetzungen zwischen den Fachärzten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und den Hausärzten müssen dringend gefördert und ausgebaut werden, um unsere gemeinsamen Patienten zusammen besser versorgen zu können.

Bisher standen die behandelnden Hausärzte vor dem Dilemma, dass sie die Betroffenen nicht so einfach wie zu anderen Fachärzten zu psychosomatisch tätigen Ärztinnen und Ärzten überweisen konnten.
Der Grund dafür lag darin, dass es den Fachärzten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie aufgrund enger Budgetbestimmungen und zeitintensiver Kostenübernahmeklärungen mit den Krankenkassen bisher fast unmöglich war, schnell Termine zu vergeben und akut Behandlungen zu beginnen. So entstanden lange Wartezeiten, in denen die Patientinnen und Patienten leider immer wieder vertröstet werden mussten, oft immer kränker wurden und in ihrer Not von Arzt zu Arzt liefen. Dass dies längst nicht mehr tragbar war wurde schon lange sowohl von den Allgemeinmedizinern als auch den Psychosomatikern kritisiert.
Unter der Leitung von Frau Dr. med. Angelika Prehn, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin und Vorsitzende des Berufsverbandes der Allgemeinärzte in Berlin und Brandenburg (BDA) schlossen sich dieser und die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM) jetzt in einem Projekt zusammen, das die akute, kompetente, integrative ambulante und wenn nötig auch stationäre Behandlung von Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen endlich gewährleisten soll.
Grundlage hierfür war ein Modellprojekt von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin und den Fachärzten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, das am 01.07.2007 anlief und den am Modell teilnehmenden psychosomatisch tätigen Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, kurzfristig Termine zur Beratung, Diagnostik und Behandlung zu vergeben und so die Patientinnen und Patienten im engen Austausch mit ihren Hausärzten optimal und zeitnah zu versorgen.
In das Kooperationsprojekt zwischen den Allgemeinmedizinern und den Fachärzten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie werden zukünftig auch Berliner Psychosomatische Kliniken einbezogen werden, in die die Patientinnen und Patienten nach vorheriger ambulanter Abklärung, auch für kürzere Aufenthalte, akut aufgenommen werden können.

Darüber hinaus werden die Daten im Rahmen des Evaluationsprojektes der DGPM, das Herr Dr. Palmowski schon in der Ausgabe 2 der "Ärztlichen Psychotherapie " auf Seite 119 beschrieben hat und auch nochmals von Herrn S. Liedtke von der Firma Cibait in dieser Ausgabe dargestellt wird, erhoben. Es soll belegt werden, dass wir als Psychosomatiker eine große Anzahl schwer kranker Menschen kompetent, individuell und ökonomisch sinnvoll versorgen.

Mit diesem Projekt zwischen dem BDA und der DGPM ist es erstmals möglich eine schnelle, umfassende, kompetente, fachübergreifende und darüber hinaus ökonomisch sinnvolle Versorgung der Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen zu gewährleisten und langen Krankheitsverläufen und Chronifizierungen entgegen zu wirken.

Berlins Bürgerinnen und Bürger können so jedenfalls mit einer erheblichen Verbesserung der ärztlichen Versorgung psychosomatischer Erkrankungen rechnen.

Kommentar von Frau Dr. Prehn:

Dieses Projekt ist eindeutig aus der ärztlichen Praxis heraus "geboren" worden – und es ist ein Beispiel dafür, wie gewinnbringend Körperschaften und Verbände zusammen arbeiten können. Die hausärztlichen Kollegen können einen Patienten mit psychosomatischem Hintergrund nun vergleichsweise schnell und unbürokratisch bei einem fachärztlichen Kollegen vorstellen. Lange Wartezeiten werden vermieden. Das ist möglich geworden, weil im Modellprojekt die bürokratische Hürde der Antragspsychotherapie zunächst entfällt. Erfahrungsgemäß kann darauf ohnehin in einer Reihe von Fällen verzichtet werden.

Mir persönlich ist besonders wichtig, dass notwendige fachärztliche Interventionen auf der psychosomatischen Ebene schneller als bisher erfolgen können und Krankheitsbilder wegen der Scheu vor bürokratischen Hemmnissen und langfristigen Terminen nicht unnötig verkompliziert werden.

Idee und Umsetzung dieses Projektes bestärken mich übrigens auch in meiner Doppelfunktion als Vorstandsvorsitzende der KV Berlin und als Vorsitzende des BDA-Landesverbandes. Aus der Verbandsarbeit nehme ich Kritik an den Bedingungen unserer hausärztlichen Versorgung auf und auf der KV-Ebene kann ich unmittelbare Lösungswege initiieren. Solche Erfahrungen sind es, die mir, weitab von Verbands- und Gruppenzwängen, die Kraft einer solchen Doppelbelastung geben.

Dr. med. Angelika Prehn

www.psychosomatic-medicine.info
Dr. med. Anna Goeldel
Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DGPM Berlin/ Brandenburg